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Samstag, 20. April 2013

{Rezension} Opfer von Cathi Unsworth

Cover & Verlag: Suhrkamp
Übersetzer: Hannes Meyer
Broschierte Ausgabe: 384 Seiten
Genre: Englischer Krimi
ISBN: 978-3-518-46433-5
Erscheinungsdatum: 11. März 2013
Preis: 14,99 €

Wer ist das Opfer?

Im Oktober 2003 reist Privatdetektiv Sam Ward in die Küstenstadt Ernemouth. Hier hatte sich vor rund 20 Jahren ein grausamer Mord ereignet. Am Tatort wurde die Jugendliche Corrine Woodrow blutüberströmt aufgegriffen. Für die Polizei stand sie sofort als Täterin fest, auch die örtliche Boulevardpresse war von der Schuld Corrines überzeugt, da Corinne für sie die perfekte Täterin repräsentiert: Der Teenager kommt aus einem verkorksten Elternhaus und gilt in Ernemouth als Freak, die sich zu Okkultem hingezogen fühlt. Doch mittlerweile ist die Kriminaltechnik weiter und so finden sich nach 20 Jahren DNA-Spuren, die nicht mit denen von Corrine übereinstimmen. Gab es somit einen weiteren Täter oder hat der Teenager die Tat gar nicht begangen? Eine engagierte Anwältin hat den Fall nun wieder aufgerollt und in ihrem Auftrag reist Sam Ward nun in das verschlafene Küstenstädtchen. Doch nicht jeder Bewohner ist glücklich über die Ermittlungen von Sam und dies liegt nicht nur an den unangenehmen Erinnerungen an das Jahr 1984.



Sehr ruhig, nachdenklich, mitfühlend, gepaart mit einer durchweg bedrückenden Atmosphäre erzählt Cathi Unsworth ihren Krimi, der eine Besonderheit birgt. Bis kurz vor Schluss ist noch nicht einmal ansatzweise zu erahnen, um wen es sich bei dem Opfer handelt. Und auch an der Schuld von Corrine kommen schnell erste Zweifel auf, doch wer sollte diesen Mord begangen haben und vor allem warum?

Cathi Unsworth vermittelt ihren Krimi auf zwei Zeitebenen, welche die Autorin zudem aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Hierdurch erhält man recht schnell einen guten Überblick über das Leben in Ernemouth und dessen Einwohner, besonders bei den Jugendlichen des Küstenstädtchens. Den Zeitgeist Anfang der 1980er Jahre fängt die Autorin sehr gut ein und so dauert es gar nicht lange bis man wieder das Kratzen der Nadel über ein Vinyl-Scheibe wie auch die entsprechenden Songs dazu in den Ohren oder aber die rebellischen, aber eigentlich doch recht harmlosen Jugendlichen vor Augen hat, die sich für Mode, Jungs bzw. Mädchen, Malerei, Party und dem neuesten Songs ihres Idols interessieren. Aber diese Idylle täuscht, hinter der Fassade der Kleinstadt brodelt es. Intrigen, Drogen und andere illegale Geschäfte existieren auch in Ernemouth. Der Alptraum nimmt seinen Lauf als Samantha Lamb zusammen mit ihrer Mutter und deren jüngeren Freund Wayne in die Kleinstadt zieht.

Im Handlungsstrang der Gegenwart nimmt Sam Ward schnell Kontakt mit der örtlichen Polizeidienststelle auf und bekommt den ehemaligen Polizeichef zur Seite gestellt, der damals die Ermittlungen in dem Fall geleitet hatte. Scheinbar tatkräftig unterstützt dieser den Privatdetektiv, doch handelt er wirklich so uneigennützig? Weitere Unterstützung erhält Sam von einer Redakteurin, die ihre eigenen Recherchen anstellt und zudem ein persönliches Interesse an dem Fall hat. Bald haben Beide das Gefühl, das 1984 bei Weitem nicht alles ans Licht kam, doch wer verbirgt hier etwas und vor allem warum?

Die Autorin führt ihre Leser sehr langsam, aber keineswegs langatmig in die Story ein. Ihr Krimi ist eine  Milieustudie über eine Kleinstadt, die es fast perfekt versteht, ihre Geheimnisse zu verbergen, hier trügt der äußere Schein, ein Blick hinter die Fassade offenbart wahrlich grausame Geschehnisse. Schnell packt einen der Krimi durch den fesselnden und lebendigen Schreibstil der Autorin, aber auch die Neugier ob der vielen Fragen, die ständig mehr anstelle weniger werden, treibt einen regelrecht durch den Krimi. Äußerst komplex entwickelt sich die Geschichte, welche Cathi Unsworth sehr gut durchdacht erzählt, während sie nach und nach das Tempo anzieht, Perspektivwechsel immer schneller vornimmt und einen so immer tiefer in die Abgründe der Kleinstadt führt. Und so dauert es dann auch nicht mehr lange bis das Spannungsniveau stark anzieht.

Unerlässlich bei diesem Krimi sind tiefgehende Charakterzeichnungen und dies gelingt der Autorin hervorragend. Die einzelnen Akteure entwickeln sich weiter, sie überraschen, sie täuschen und bei einigen revidiert man im Verlauf der Story seine Meinung. Und dennoch hilft einem dies nicht dabei, hinter die Identität des Opfers zu kommen, noch wie sich der Mord abgespielt hatte und ob Corrine wirklich die Täterin war.

Fazit: Ein Krimi, in dem nicht der Mörder sondern das Opfer bis zum Schluss unbekannt bleibt. Ungewöhnlich, berührend, atmosphärisch dicht und äußerst fesselnd präsentiert Cathy Unsworth ihren Krimi „Opfer“.

Die Autorin:
Cathi Unsworth begann mit neunzehn Jahren für das legendäre Musikmagazin Sounds zu schreiben. Sie studierte am London College of Fashion und arbeitete als Kritikerin und Redakteurin u.a. für Melody Maker, Bizarre und The Guardian. Opfer ist ihr vierter Roman. Cathi Unsworth lebt in London.


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