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Dienstag, 14. September 2010

{Rezension} Die Stille nach dem Schrei von Isolde Sammer

Verlag: rororo Verlag
Taschenbuchausgabe: 400 Seiten
ISBN: 3499253704 
Genre: Deutscher Thriller
Erscheinungsdatum: 01. September 2010
Preis: 9,95 €




Tinas letzte Worte an Kommissar Schneider

Der 19-jährige Martin soll seinen Stiefbruder Jonas ermordet haben. Er behauptet, es war Notwehr und das Gericht glaubt ihm. Nur seine Stiefmutter, die Architektin Irene Werneck, kann dies nicht glauben, denn nach Martins Aussage müsste ihr ermordeter Sohn Jonas somit ein Sadist gewesen sein und ihr verstorbener Ehemann, Martins Vater, ein Kinderschänder. Für Irene entwickelt sich die Prozesszeit zu einem Spießrutenlauf, ihre Nachbarn meiden sie und selbst gute Freunde ziehen sich immer mehr von ihr zurück. Dann ist der Tag gekommen und Martin kehrt als freier Mann nach Hause zurück. Doch Irene mag einfach nicht an seine Unschuld glauben und setzt sich mit Kommissar Hanno Schneider in Verbindung, der damals in dem Fall ermittelte. Auch er hat Zweifel an Martins Unschuld und unterstützt Irene in ihren Bemühungen, Martins Schuld zu beweisen. In der Zwischenzeit hat sich Martin mit der jungen Tina Mahlbach angefreundet. Geht er mit ihr eine Beziehung ein, um seiner Umwelt ein „normales“ Leben vorzugaukeln oder sind seine Gefühle für Tina echt? Zumindest Tina liebt Martin abgöttisch und würde für ihn alles machen, was er auch bald einfordern wird.

Isolde Sammer erzählt ihren Thriller aus verschiedenen Blickwinkeln, wobei die Geschichte von Tina als Brief an Kommissar Schneider gehalten ist. So weiß der Leser fast augenblicklich, dass Tina in Schwierigkeiten steckt und mit Hilfe des Briefes versucht, ihren kleinen Bruder Benny zu retten. Denn Martin hat ganz offensichtlich pädophile Neigungen und auch der Gedanke an Mord ist ihm nicht fremd. Der Handlungsstrang von Tina ist sehr emotional angelegt und man merkt beim Lesen ihre Resignation. Man weiß, dass sie diese Geschichte nicht überleben wird, gleichzeitig spürt man auch ihren Kampfgeist, in jedem Fall das Leben ihres kleinen Bruders Benny zu retten. Ihren Charakter beschreibt die Autorin sehr einfühlsam und detailreich. Und obwohl mir ihre Handlungsweise absolut suspekt ist, gelingt es der Autorin trotzdem, ihr Vorgehen und ihr Verhalten plausibel und nachvollziehbar zu beschreiben.   

In weiteren Handlungssträngen erhält man einen Einblick in die Gedankenwelt von Martin, der es geschickt versteht, seinen Charme an den richtigen Stellen einzusetzen. Man ahnt schnell, dass hier der Schein trügt und Martin bei weiten gefährlicher ist, als er sich nach außen hin gibt. Und das ist auch gewollt von der Autorin. So weiß man von Anfang an, dass Martin mehr oder weniger eine tickende Zeitbombe ist und der Thriller einfach auf ein fulminantes Ende zulaufen muss, was schlussendlich auch der Fall ist. Dieser Charakter ruft beim Lesen eine ganze Bandbreite von Emotionen auf, wobei hier Wut, Zorn und auch Unglaube überwiegen, trotzdem gelingt es der Autorin hin und wieder auch so etwas wie Mitleid für Martin empfinden zu lassen. Und so geht es einem wie seiner Stiefmutter. Auch sie ist ständig hin und her gerissen zwischen abgrundtiefem Hass, Selbstvorwürfen und Mitleid. Der Autorin ist es so gelungen, einen eindeutig psychisch kranken Charakter zu schaffen, der durch seine Gefühlskälte auffällt, dies jedoch geschickt zu verbergen versteht und wahrscheinlich auch genau so angelegt sein muss, um solche Phantasien auszuleben.

Martins Stiefmutter Irene ist verständlicherweise mit den Nerven am Ende. Sie mag nicht glauben, dass ihr Ehemann wirklich ein pädophiler Sadist war, so wie Martin ihn in dem Prozess hinstellte, genauso wenig ist es für sie vorstellbar, dass ihr Sohn Jonas wirklich das getan haben soll, was Martin ihm vorwirft und dem das Gericht Glauben schenkte. Irenes Verzweiflung, die Demütigungen der Nachbarn und Freunde, die sie als „Rabenmutter“ sehen und den Schilderungen von Martin mehr Glauben schenken, wie auch ihre Angst gegenüber Martin, vermittelt die Autorin hervorragend. Diese innere Zerrissenheit und der gleichzeitig unbändige Wille von ihr, zu beweisen, welch krankhafter Charakter Martin in Wirklichkeit ist, beschreibt Isolde Sammer zu jeder Zeit absolut nachvollziehbar.

Durch diese so unterschiedlichen Handlungsstränge hält sich die Spannung ständig auf einem sehr hohen Niveau, wobei bis fast zum Schluss überwiegend auf reißerische Szenen absolut verzichtet wird und es hier mehr um das Gefühlsleben der einzelnen Protagonisten geht. Dies ist nie langatmig erzählt und durch die ständigen Wechsel der Erzählstränge besteht stets eine unterschwellige Spannung, die auch noch durch die düstere, beklemmende Stimmung gestärkt wird. 

Fazit: Isolde Sammer gelingt es sehr gut, das Thema „Pädophilie“ sensibel anzugehen und mit feinfühlig herausgearbeiteten Charakteren einen spannenden und gleichzeitig sehr emotionalen Thriller zu erzählen.

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