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Dienstag, 21. September 2010

{Rezension} Das Einstein Mädchen von Philip Sington

Verlag: dtv Verlag
Übersetzer: Sophie Zeitz
Broschierte Ausgabe: 464 Seiten
Genre: Historischer Roman
ISBN: 3423247835 
Erscheinungsdatum: 01. Juli 2010
Preis: 14,90 €


„… Dass der Irrsinn einen Sinn hat …“

Berlin im Mai 1933: Zwei Wochen nach dem rätselhaften Verschwinden ihres Verlobten, dem Psychiater Martin Kirsch, besucht Alma Siegel regelmäßig die Polizeidienststelle, um sich dort die Bilder unbekannter Toter zu betrachten. Doch erfolglos. Martin ist nicht dabei. Nach einem solchen Besuch macht sie sich auf den Weg in eine öffentliche Bibliothek, um dort die Zeitungsartikel über das Auffinden einer jungen Frau zu lesen. Diese wurde ein halbes Jahr vorher in einem Waldstück mehr tot als lebendig gefunden und in die Charité eingewiesen. Dort konnte sie zwar gerettet werden, hatte aber ihr Gedächtnis verloren. Da sie als einziges ein Prospekt von Albert Einstein bei sich hatte, erhält sie in der Charité den Namen „Das Einstein-Mädchen“. Besonders Martin interessierte sich für den Fall und war schon schnell von der jungen Frau fasziniert. Ihm gelang es, sie in seine Abteilung verlegen zu lassen, um sie dort zu behandeln. Der Fall von Maria, den Namen, den sie sich selbst gegeben hatte, interessierte ihn immer mehr und so machte er sich daran, die Hintergründe der Amnesie von Maria zu entschlüsseln und entdeckte hierbei ein menschliches Drama, welches viele Jahre vorher bereits begann.

Nachdenklich, ruhig und sehr flüssig erzählt Philip Sington die Geschichte von Maria und Dr. Martin Kirsch. Immer wieder lässt er geschichtliche Ereignisse mit einfließen und geht auch detailliert auf die Behandlungsarten der Psychiatrie der damaligen Zeit ein. Hierdurch erhält man nach und nach ein sehr gutes Bild über das Leben zwischen den beiden Weltkriegen. Und so spürt man deutlich, wie die Menschen immer noch mit den Nachwirkungen des 1. Weltkrieges, besonders auch mit der Trauer um gefallene Familienmitglieder, zu kämpfen haben, während sie sich gleichzeitig auf die Machtübernahme von Adolf Hitler einstellen. Dessen Politik hatte bekanntermaßen wenig für psychisch kranke Menschen übrig, was die Ärzte in der Charité und hier natürlich auch Martin deutlich zu spüren bekommen. Die Einblicke, welche man in die Behandlungsarten von damals erhält, sind stellenweise schon sehr erschreckend beschrieben. Jedoch nehmen diese Erklärungen wie auch weitere zeitgenössische Erläuterungen nur so viel Raum ein, um unterschiedliche Verhalten zu erklären und somit die Geschichte harmonisch abzurunden, ohne langatmig zu werden.

Immer wieder wird ein Erzählstrang in Briefform eingefügt, der neugierig macht auf den Fortgang der Geschichte und erkennen lässt, dass der Schlüssel um Marias heutigem Zustand in der Vergangenheit zu finden ist, in der Albert Einstein eine maßgebliche Rolle spielt. Hier verknüpft der Autor geschickt Fiktion und Realität zu einer schlüssigen Geschichte, die nach ein paar Kapiteln um ein ½ Jahr in der Erzählung zurückgeht und so nach und nach somit die Erklärung für das Verschwinden von Martin bietet. Allerdings ist der Roman in keiner Weise als historischer Krimi oder gar Thriller zu bezeichnen, da er keine dieser Aspekte aufweist, sondern es handelt  sich hierbei um einen schönen, emotional erzählten Roman.

Die Figuren sind gut herausgearbeitet und detailreich angelegt. Besonders interessant ist hier natürlich der Charakter von Maria, bei der es sich um eine hochintelligente junge Frau handelt auf der Suche nach ihrer Vergangenheit. Auch Alma Siegel, die Verlobte von Martin, wird glaubwürdig in ihrer hartnäckigen, unbeirrbaren und stolzen Art dargestellt. Neben Maria ist Martin Kirsch der zweite Protagonist des Romans. Sein Verhalten wirkt für den Leser sehr sensibel, kann als stur und selbstlos im Bemühen um Maria bezeichnet werden und verwundert aber auch, da die Menschen in seinem Umfeld ihn eher als unnahbar, arrogant und selbstherrlich beschreiben.

Fazit: Philip Sington erzählt überzeugend in einem ruhigen, nachdenklichen Schreibstil seine Geschichte, welche am Ende zwar mit einer vorhersehbaren Lösung aufwartet, dennoch aber noch überraschen kann und den Zeitgeist der 1930er Jahre sehr gut einfängt.

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