Taschenbuchausgabe: 288 Seiten
Genre: Familienroman
ISBN: 978-3-442-74572-2
Erscheinungsdatum: 09. April 2013
Preis: 8,99 €
Sich der Vergangenheit stellen ….
… dies muss sich die erfolgreiche Geschäftsfrau Sigrid, als
eines Tage ein Brief aus England bei ihr in München eintrifft, den ihre
27-jährige Tochter Judith versehentlich liest. In dem Brief wird Sigrid darüber
informiert, dass ihre Mutter Linda in Manchester gestorben sei und nun ihr Erbe
geregelt werden müsste. Das Problem ist, dass Sigrid gegenüber ihrer Tochter
Judith immer behauptet hat, dass Linda bereits vor vielen Jahren gestorben sei.
Reiner Selbstschutz von Sigrid, die als ungeliebtes Kind und Opfer des Krieges ein
Leben in unterschiedlichen Kinderheimen und Internaten verbringen musste. Nun
muss Sigrid sich der Vergangenheit stellen und Judith die Wahrheit über deren
Großeltern erzählen, welche Judith nie kennenlernen durfte und schon lange für
tot hielt.
Ihren äußerst gefühlvollen Roman beginnt Brigitte Beil mit
der Beerdigung von Sigrids Vater Gustav Macksiepen, welcher sie zusammen mit ihrer
Tochter Judith beiwohnt und lässt die Geschichte auch mit der Beerdigung enden.
Denn dieses Ereignis ist für Sigrid Anlass, auf die Geschehnisse der letzten
Zeit zurückzublicken. Und so erfährt man – zumeist aus Sicht der erfolgreichen
Geschäftsfrau – was seit dem Erhalt des Briefes aus England bis zur Beerdigung
ihres Vaters geschehen ist.
Bei der Vergangenheitsbewältigung erhält Sigrid Hilfe von
ihrem ehemaligen Kindermädchen Karola, die bereits kurz vor der Geburt von
Sigrid Anfang des 2. Weltkrieges in das Haus Macksiepen in München zog. Karola
kennt die Lebensgeschichte von Sigrid, hat deren Kindheit und Jugend in
Kinderheimen und Internaten während der Nachkriegszeit immer von der Ferne aus verfolgt
und Karola ist es auch, die Sigrid dazu bringt, sich endlich mit ihrer
Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Dies gestaltet sich jedoch äußerst schwierig, da Siegrid nie
das Gefühl von Wärme, Geborgenheit, Liebe oder Heimat kennenlernen durfte. So
fühlt sich die Geschäftsfrau wie eingefroren, lässt keine Nähe zu, auch nicht
gegenüber ihrer Tochter. Entsprechend unterkühlt ist das Verhältnis der Beiden
zueinander und erlebt mit dem Brief aus England seinen Höhepunkt.
Ist eine Annäherung oder gar Versöhnung von Sigrid und
Judith überhaupt noch möglich, wird Judith ihrer Mutter die Lügen der
Vergangenheit verzeihen, und vor allem, wird sie verstehen, warum ihre Mutter
dies getan hat? Man mag es bei der Gefühlskälte, welche zwischen den beiden
Frauen besteht, kaum glauben. Und man fragt sich auch immer wieder, was
Schreckliches geschehen sein muss, dass Sigrid heute so wenig
Einfühlungsvermögen anderen Menschen gegenüber zeigt.
Brigitte Beil erzählt ihren Roman sehr warmherzig, bildhaft,
tiefsinnig, fesselnd und emotional. Zumeist in der Ich-Form geschrieben lernt
man durch diese Erzählweise immer besser die innere Zerrissenheit und auch
Empfindungslosigkeit von Sigrid kennen und wie sie darunter leidet, kann
ihre Interessens- und Herzlosigkeit gegenüber
anderer Menschen nach und nach verstehen und somit ihren Schutzwall gegenüber
Gefühlen und warum sie um ihre Kindheit und Jugend solch ein Lügenkonstrukt
gestrickt hat. Besonders verständlich wird dies, als man den Handlungsstrang zu
Karola liest, als diese Sigrid und Judith aus den Kriegsjahren erzählt, wie sie
als Kindermädchen Sigrids Eltern kennengelernt hatte und was sie heute über diese
denkt.
Fazit: Ein gefühlvoller, bedrückender, trauriger, aber auch
hoffnungsvoller Roman über eine Frau, die durch einen Brief aus England gezwungen
wird, sich endlich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Die Autorin:
Brigitte Beil, aufgewachsen in Münster, studierte
Literaturwissenschaft, Philosophie und Publizistik und arbeitet als
freie Journalistin und Buchautorin. Schwerpunkte ihrer zahlreichen
Sachbücher sind soziale und psychologische Themen. Brigitte Beil hat
zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in München. Zuletzt
erschien bei btb ihr Roman »Eiswinter«.
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