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Freitag, 26. April 2013

{Rezension} Ein Brief aus England von Brigitte Beil

Cover & Verlag: btb-Verlag
Taschenbuchausgabe: 288 Seiten
Genre: Familienroman
ISBN: 978-3-442-74572-2
Erscheinungsdatum: 09. April 2013
Preis: 8,99 €




Sich der Vergangenheit stellen ….

… dies muss sich die erfolgreiche Geschäftsfrau Sigrid, als eines Tage ein Brief aus England bei ihr in München eintrifft, den ihre 27-jährige Tochter Judith versehentlich liest. In dem Brief wird Sigrid darüber informiert, dass ihre Mutter Linda in Manchester gestorben sei und nun ihr Erbe geregelt werden müsste. Das Problem ist, dass Sigrid gegenüber ihrer Tochter Judith immer behauptet hat, dass Linda bereits vor vielen Jahren gestorben sei. Reiner Selbstschutz von Sigrid, die als ungeliebtes Kind und Opfer des Krieges ein Leben in unterschiedlichen Kinderheimen und Internaten verbringen musste. Nun muss Sigrid sich der Vergangenheit stellen und Judith die Wahrheit über deren Großeltern erzählen, welche Judith nie kennenlernen durfte und schon lange für tot hielt.



Ihren äußerst gefühlvollen Roman beginnt Brigitte Beil mit der Beerdigung von Sigrids Vater Gustav Macksiepen, welcher sie zusammen mit ihrer Tochter Judith beiwohnt und lässt die Geschichte auch mit der Beerdigung enden. Denn dieses Ereignis ist für Sigrid Anlass, auf die Geschehnisse der letzten Zeit zurückzublicken. Und so erfährt man – zumeist aus Sicht der erfolgreichen Geschäftsfrau – was seit dem Erhalt des Briefes aus England bis zur Beerdigung ihres Vaters geschehen ist.

Bei der Vergangenheitsbewältigung erhält Sigrid Hilfe von ihrem ehemaligen Kindermädchen Karola, die bereits kurz vor der Geburt von Sigrid Anfang des 2. Weltkrieges in das Haus Macksiepen in München zog. Karola kennt die Lebensgeschichte von Sigrid, hat deren Kindheit und Jugend in Kinderheimen und Internaten während der Nachkriegszeit immer von der Ferne aus verfolgt und Karola ist es auch, die Sigrid dazu bringt, sich endlich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Dies gestaltet sich jedoch äußerst schwierig, da Siegrid nie das Gefühl von Wärme, Geborgenheit, Liebe oder Heimat kennenlernen durfte. So fühlt sich die Geschäftsfrau wie eingefroren, lässt keine Nähe zu, auch nicht gegenüber ihrer Tochter. Entsprechend unterkühlt ist das Verhältnis der Beiden zueinander und erlebt mit dem Brief aus England seinen Höhepunkt.

Ist eine Annäherung oder gar Versöhnung von Sigrid und Judith überhaupt noch möglich, wird Judith ihrer Mutter die Lügen der Vergangenheit verzeihen, und vor allem, wird sie verstehen, warum ihre Mutter dies getan hat? Man mag es bei der Gefühlskälte, welche zwischen den beiden Frauen besteht, kaum glauben. Und man fragt sich auch immer wieder, was Schreckliches geschehen sein muss, dass Sigrid heute so wenig Einfühlungsvermögen anderen Menschen gegenüber zeigt.

Brigitte Beil erzählt ihren Roman sehr warmherzig, bildhaft, tiefsinnig, fesselnd und emotional. Zumeist in der Ich-Form geschrieben lernt man durch diese Erzählweise immer besser die innere Zerrissenheit und auch Empfindungslosigkeit von Sigrid kennen und wie sie darunter leidet, kann ihre  Interessens- und Herzlosigkeit gegenüber anderer Menschen nach und nach verstehen und somit ihren Schutzwall gegenüber Gefühlen und warum sie um ihre Kindheit und Jugend solch ein Lügenkonstrukt gestrickt hat. Besonders verständlich wird dies, als man den Handlungsstrang zu Karola liest, als diese Sigrid und Judith aus den Kriegsjahren erzählt, wie sie als Kindermädchen Sigrids Eltern kennengelernt hatte und was sie heute über diese denkt.

Fazit: Ein gefühlvoller, bedrückender, trauriger, aber auch hoffnungsvoller Roman über eine Frau, die durch einen Brief aus England gezwungen wird, sich endlich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Die Autorin:

Brigitte Beil, aufgewachsen in Münster, studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Publizistik und arbeitet als freie Journalistin und Buchautorin. Schwerpunkte ihrer zahlreichen Sachbücher sind soziale und psychologische Themen. Brigitte Beil hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in München. Zuletzt erschien bei btb ihr Roman »Eiswinter«.


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