Verlag: Fischer Verlag
Übersetzer: Brigitte Jakobeit
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Genre: Historischer Roman
ISBN: 3596852285
Erscheinungsdatum: 27. Juli 2007
Preis: 19,95 €
Eindeutig kein Kinder- und Jugendbuch!
Bei diesem Buch von John Boyne bin ich hin- und hergerissen. Zum einen hat mich der Sprachstil des Autors wieder sofort überzeugt. Scheinbar mühelos gelingt es ihm bereits von der ersten Seite an, eine Atmosphäre aufzubauen, die einfach nur als hervorragend zu bezeichnen ist. Sofort erhält man ein Gefühl für die Geschichte, taucht regelrecht in diese ein und sein bildhafter Schreibstil sorgt dafür, dass man augenblicklich jede Szene vor Augen hat.
Ich bin ziemlich unbefangen und auch unwissend in Bezug auf den Inhalt an den Roman herangegangen, wobei ich schon wusste, dass er von zwei kleinen Jungen erzählt, die sich im Umfeld eines KZ kennenlernen, und dass es sich hierbei um ein Kinder-und Jugendbuch handelt. Das Buch wurde mir empfohlen als ein anrührender, wunderbar geschriebener Roman und auch die Bewertungen zu diesem Buch haben mich überzeugt, es mir zu kaufen, ohne hierbei auch nur eine Rezension dazu gelesen zu haben. Was ein Fehler war, zumindest für mich. Ich habe bisher immer noch keine Rezension dazu gelesen, um einfach unbeeinflusst meine schreiben zu können, werde es aber danach nachholen.
Wie gesagt, anfangs war ich von dem Erzählstil, den ich bereits von seinem Roman „Das Haus zur besonderen Verwendung“ kannte, wieder total gefesselt. Doch je länger ich las umso wütender bin ich geworden. Zum einen ist mir schon recht bald die Naivität von Bruno unangenehm aufgestoßen. Wie kann ein Neunjähriger, der im direkten Umfeld des NS-Regimes aufwächst, so unwissend sein. Wenn sein Vater ein ranghoher Kommandant war, der selbst mit Adolf Hitler und Eva Braun im Kreis seiner Familie zu Abend isst, wie kann dieser seinem Sohn dann nicht eine „angemessene“ Erziehung zukommen lassen, sprich: Bruno müsste zumindest in der Hitlerjugend gewesen sein, zumal sein Vater ja voll hinter dem kranken Gedankengut der Nazis stand. Da muss es doch sein oberstes Ziel gewesen sein, seinem einzigen Sohn dies auch so schnell wie möglich zukommen zu lassen.
Dann kommt hinzu, dass Bruno nicht fähig ist, dass Wort Führer richtig auszusprechen und auch Auschwitz ist wirklich nicht so schwer zu sprechen, als dass er es nicht nach den mehrmaligen Verbesserungen, die im Roman erwähnt wurden, richtig hätte wiedergeben können. Zumal er mit anderen Wörtern absolut keine Probleme hat. Mir ist auch nicht klar, was der Autor hiermit bezwecken wollte, außer dass es mit der Zeit nervt und einem an Brunos Intellekt zweifeln lässt oder wollte er damit die kindliche Naivität hervorheben, wie diese mit einem Thema umgehen. Dann hätte er aber das Alter seines Protagonisten um einiges jünger wählen müssen, so wirkt es einfach nur unglaubwürdig.
Dann Brunos Gedanken: Sie drehen sich ausschließlich um das Haus in Berlin, um seine drei besten Freunde und das er keine Spielkameraden in Auschwitz hat und unbedingt wieder nach Hause will. Lange Zeit interessiert ihn nichts anderes. Natürlich ist dies nachvollziehbar, zumal Bruno von dem lebendigen Berlin in eine solche Einöde katapultiert wird. Aber welcher aufgeweckter Junge, und als dieser wird Bruno einem vermittelt, hätte sich nicht spätestens nach einer Woche auf Entdeckungstour an dem neuen Ort begeben, da er ja unbedingt Forscher werden möchte. Auch ansonsten hatte ich das Gefühl, dass Bruno nur mit riesengroßen Scheuklappen durchs Leben läuft und das Gemüt eines Fünfjährigen, aber keinesfalls die Intelligenz eines neunjährigen Jungen besitzt.
Er lebt in unmittelbarer Nähe des Konzentrationslagers Auschwitz und bekommt über die Vorgänge, die sich dort abspielen, ebenfalls nichts mit? So wie es in dem Buch beschrieben ist, trennte nur ein Zaun die Gefangenen von den Nazis. Im Haus sind ständig Nazi-Schergen ein und aus gegangen, wie kann man da nur so desinteressiert sein? Wenn der Autor damit vermitteln will, dass auch viele Erwachsene im 2. Weltkrieg ihre Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen haben, lass ich dies so aber auch nicht stehen, da Bruno genug Menschen um sich herum hatte, die er gezielt fragen konnte, ohne Angst um sein Leben haben zu müssen.
Nie werden von Bruno Ereignisse genauer hinterfragt und gerade in dem Alter sind doch Kinder besonders neugierig und wissbegierig. Ihn interessiert kaum das kränkliche Aussehen von Schmuel, sondern er registriert nur, dass der jüdische Junge etwas grau im Gesicht ist und dünn aussieht. Zumindest scheint er mit der Zeit schon verstanden zu haben, dass Schmuel Hunger leiden muss, aber selbst hier denkt Bruno erst einmal nur an sich und futtert das für Schmuel gedachte Essen meist zur Hälfte auf dem Weg zum Zaun selbst. Das zeigt doch deutlich, dass ihm absolut nicht bewusst ist, wie schlimm es Schmuel hinter dem Zaun gehen muss und wer schon mal Bilder von KZ-Häftlingen gesehen hat, für den ist dies schwer vorstellbar. Da muss doch auch ein Neunjähriger ins Grübeln kommen. Dann der Zaun! Für mich ist es nicht vorstellbar, dass die Umzäunung eines KZ’s so nachlässig war und so unzureichend gesichert. Und wie war es Schmuel möglich, sich jeden Tag unbemerkt an die Grenze des Lagers zu begeben, ohne dass auch nur ein Soldat dies jemals bemerkt hat.
Hier wird einfach ein total falsches Bild eines Konzentrationslagers und dem Leben darin vermittelt und das ist gefährlich. Besonders erschreckend fand ich die Szene, als Schmuel von der Verhaftung seiner Familie, dem Leben im Getto und der anschließenden Verschleppung nach Auschwitz erzählt. Hier stellt Bruno immer wieder Vergleiche mit seinem Leben an, schließlich sei er ja auch nicht freiwillig von Berlin weggezogen. Das ist purer Hohn und verharmlost ungemein das Schicksal von Schmuel und seiner Familie.
Selbst als Märchen kann ich die Geschichte nicht ansehen, dafür ist das Thema einfach zu brisant. Als Autor hat man gegenüber seiner Leser auch eine gewisse Verantwortung, vor allem wenn die Zielgruppe Kinder oder Jugendliche sind. Und hier wird meiner Meinung nach sehr schlecht recherchiert auf ein Thema eingegangen, dass einfach sehr gut recherchiert vermittelt werden muss. Hinzu kommt, dass Berlin Anfang der 40er Jahre noch als Paradies dargestellt wird, in dem die Gemüse- und Obststände überquellen und Menschen bei schäumenden Getränken lachend auf der Straße sitzen und das 1943! Dass nachts Verdunklung angesagt war, wird hier nur am Rande erwähnt.
Ok, das Buch ist ein Roman und somit hat der Autor ein Recht, Fiktion und Wahrheit zu vermischen und sich auch schriftstellerische Freiheiten zu erlauben. Allerdings sollte man sich auch bei einem Roman an offensichtliche Tatsachen halten.
Etwas entschädigt hat mich das Buch dann mit seinem Ende, das mich wirklich überrascht und auch berührt hat und der jungen Leserschar vielleicht doch einen winzigen Blick auf das wahre Leben im 2. Weltkrieg und dem Holocaust werfen lässt.