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Donnerstag, 10. Mai 2012

{Rezension} Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry von Rachel Joyce



Gebundene Ausgabe: 380 Seiten
Genre: Zeitgenössischer Roman
ISBN: 978-3-8105-1079-2
Erscheinungsdatum: 16. Mai 2012
Preis: 18,99 €



„Eigentlich wollte er nur zum Briefkasten ….

… dann geht Harold Fry fast 1.000 Kilometer zu Fuß. Quer durch England von der Südspitze bis an die schottische Grenze, um seine Freundin Queenie zu besuchen, die in Berwick im Sterben liegt.

Harold Fry ist seit einen halben Jahr Rentner, seine Tage sind lang und unausgefüllt, mit seiner Frau Maureen spricht er nur noch das Nötigste, sie haben sich einfach nichts mehr zu sagen. Da erhält Harold einen Brief, Absender ist seine ehemalige Arbeitskollegin Queenie. Sie liegt unheilbar krank in einem Hospiz an der schottischen Grenze und möchte sich mit diesem Brief von Harold verabschieden. Dieser ist traurig, bestürzt und antwortet Queenie umgehend. Doch was schreibt man einer todkranken Kollegin, die man 20 Jahre nicht mehr gesehen hat? Unsicher geworden, ob er die richtigen Worte gefunden hat, lässt er den ersten Briefkasten links liegen und läuft weiter zum nächsten Briefkasten, um noch einmal in Ruhe darüber nachzudenken. Irgendwann kommt er an eine Tankstelle, trifft dort ein junges Mädchen, erzählt ihr von dem Brief und diese überzeugt ihn davon, dass allein der Glaube heilen kann, selbst Krebs. Da weiß Harold, dass er zu Queenie laufen muss, den langen Weg von Südengland nach Berwick, um Queenie zu retten.




So weit, so gut! Ich muss gestehen, ich habe es mir mit dieser Rezension sehr schwer getan. Auf der einen Seite ist es eine wunderschöne Geschichte, die Rachel Joyce zurückhaltend und warmherzig erzählt, die zum Nachdenken anregt und einen Mitfühlen lässt. Auf der anderen Seite ist sie aber sehr vorhersehbar, ohne jegliche Höhen und Tiefen und irgendwann plätscherte sie für mich einfach nur noch so dahin und ich war ehrlich gesagt zum Schluss froh, als ich die letzte Seite gelesen hatte.

Vorhersehbar aus dem Grund, da zum einen von Anfang an klar ist, was mit Harold’s Sohn passiert ist, auf den sich der Roman sehr oft bezieht. Die Schlüsselszene hierzu ist ganz am Anfang des Romans, als Maureen in Davids Zimmer steht. So war für mich auch schnell klar, dass Harold die Pilgerreise nicht für Queenie macht, das ihr Brief praktisch nur der Auslöser ist, sondern für sich selbst, um mit seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen. Und dies natürlich auch eine Chance für Maureen ist, sich durch die Abwesenheit von Harold Gedanken über ihre Ehe zu machen. Darüber, welche Fehler sie Beide begangen haben, warum sie nicht mehr miteinander reden können, welche Gefühle sie noch füreinander hegen und um sich an schöne aber auch weniger schöne Ereignisse aus ihrer Ehe erinnern zu können.

Dies alles durchleben Harold wie auch Maureen im Verlauf der Pilgerreise, denn die Autorin wechselt auch öfter bei ihrer Erzählung zu Harolds Ehefrau. Dies war immer mitfühlend erzählt, doch wie diese Überlegungen ausgehen war schnell offensichtlich, wenn man den Schilderungen der Autorin aufmerksam folgt. Harold lernt man als einen schüchternen, introvertierten, sehr treuen und gutmütigen Menschen kennen, der sich sein Leben lang kaum etwas zugetraut hat, immer im Hintergrund steht und der zu diesen Menschen gehört, die man in der Masse problemlos übersieht und die auch übersehen werden wollen. Die Pilgerreise verändert ihn zwar, macht in verständlicherweise selbstsicherer, aber seine grundlegenden Charaktereigenschaften legt man nach 65 Lebensjahren nicht so einfach ab.

Dann kommt hinzu, dass wir im 21. Jahrhundert leben und die Medien eine riesengroße Rolle spielen. Das so eine Pilgerreise nicht lange verborgen bleibt, ist natürlich klar. Zumal Harold fast jedem Menschen, dem er begegnet hiervon erzählt. Die weiteren Ereignisse konnte man sich mit ein bisschen Fantasie problemlos vorstellen und genauso passierten sie im Verlauf der Story dann auch. Zudem hat mich ein wenig gestört, dass Harold während seiner Pilgerreise eigentlich nur auf Menschen trifft, die es gut mit ihm meinen, die ihn unterstützen, ihm helfen, ihm zu essen und zu trinken geben, ein Bett für die Nacht anbieten. Das war mir einfach zu einseitig und so wusste man mit der Zeit, dass der nächste Mensch, dem Harold über den Weg läuft, auch wieder nur das Beste für ihn möchte. Etwas realitätsfremd.

Wie gesagt, der einnehmende und warmherzige Schreibstil von Rachel Joyce hat mich überzeugt und die Idee hinter der Pilgerreise ist wirklich gut. In der heutigen Zeit braucht es mehr solche Bücher, die Mut machen, die Zuversicht geben, die einem zu Nachdenken anregen und aufzeigen, dass auch nach einem schweren Schicksalsschlag das Leben noch durchaus lebenswert ist. Aber auf der anderen Seite konnte mich die Umsetzung einfach nicht restlos überzeugen und leider muss ich zugeben, dass ich mich stellenweise sogar gelangweilt habe, weil die ganze Geschichte zu festgefahren in nur eine Richtung lief. Nichtsdestotrotz werde ich das Buch natürlich jetzt auch auf Wanderschaft schicken und hoffen, dass der nächsten Leserin die Pilgerreise von Harold Fry besser gefällt als mir.

Die Autorin:
Rachel Joyce weiß, wie man Menschen mit Worten ganz direkt berührt. Die Autorin hat über 20 Original-Hörspiele für die BBC verfasst und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet. Daneben hat sie Stoffe fürs Fernsehen bearbeitet und auch selbst als Schauspielerin für Theater und Film gearbeitet. ›Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry‹ ist ihr erster Roman. Er erscheint in über 30 Ländern auf der ganzen Welt. Rachel Joyce lebt mit ihrem Mann und ihren vier Kindern in Gloucestershire auf dem Land.

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