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Donnerstag, 19. April 2012

{Rezension} Die toten Frauen von Juárez von Sam Hawken



Gebundene Ausgabe: 317 Seiten
Genre: Zeitgenössischer Roman
ISBN: 978-3-608-50212-1
Erscheinungsdatum: 15. März 2012
Preis: 19,95 €



Der Boxer

Der abgehalfterte Boxer Kelly Courter lebt in der mexikanischen Stadt Ciudad Juárez, direkt an der Grenze zu Texas. Dort fristet er ein trostloses Leben und hält sich mit drittklassigen Boxkämpfen und Drogendeals mehr oder weniger über Wasser. Seine einzige Stütze ist seine Freundin Paloma, mit deren Bruder er die verschiedensten Drogendeals durchzieht. Paloma arbeitet in einer gemeinnützigen Organisation, die sich mit den toten Frauen von Juárez beschäftigt. Denn in Juárez verschwinden regelmäßig Mädchen und Frauen spurlos, nur selten werden ihre Leichen gefunden. Die Einwohner reden von mindestens 4.000. Als Kelly mal wieder im Drogenrausch liegt, verschwindet Paloma spurlos, kurze Zeit später wird ihre Leiche gefunden. Die Polizei sieht in Kelly und Palomas Bruder Estéban die Täter. Die beiden geraten in die Mühlen des korrupten, gewaltbereiten Polizeiapparats, nur der Bundespolizeibeamte Rafael Sevilla vom Drogendezernat nimmt sich des Falls ernsthaft an und ermittelt auf eigene Faust.

Schonungslos offen, direkt und düster präsentiert Sam Hawken seinen Lesern den Roman, der auf einen wahren Hintergrund basiert. Sein Augenmerk liegt im 1. Teil des Buches bei Kelly Courter. Desorientiert, hoffnungslos, ohne jegliche Perspektive vegetiert Kelly mehr oder weniger in Juárez vor sich hin. Zwischendurch entwickelt er etwas Ehrgeiz und trainiert für einen nächsten Boxkampf, aber zumeist lebt er einfach nur in den Tag hinein, am besten vollgepumpt mit Drogen. So bekommt er auch nicht mit, dass seine Freundin Paloma schon einen Monat spurlos verschwunden ist.

Sam Hawken zeigt überdeutlich auf, mit welcher Willkür und Brutalität die mexikanische Polizei vorgeht und vor den grausamsten Folterungen nicht zurückschreckt, um ein Geständnis zu erzwingen. In diesem Teil geht der Autor aber auch sehr ausführlich auf das Leben in Juárez ein, dass einfach nur als hoffnungs- und trostlos zu bezeichnen ist, voller Angst geprägt und von den Drogenkartellen dominiert wird. Dies alles ist eindringlich beschrieben und geht einem auch wirklich unter die Haut, nur stellenweise ist es einfach auch zu langatmig. So weiß ich jetzt ziemlich genau, welche verschiedenen Speisen von den Mexikanern am liebsten gegessen werden, was mir bei den ständigen Erwähnungen dieser einfach irgendwann zu viel wurde. Auch wird sehr wenig während eines Großteils des Buches auf die verschwunden Frauen eingegangen.

Klar, sie sind der rote Faden, finden immer mal wieder Erwähnung, aber irgendwie wird alles nicht richtig greifbar. Und auch Paloma ist hier kein wirklich typisches Beispiel für die getöteten Frauen, da ihre Ermordung eher anderen Motiven zugrunde liegt. Ein zusätzlicher Erzählstrang, der -  in welcher Form auch immer – das Schicksal dieser Frauen beleuchtet hätte, hätte nach meinem Empfinden für etwas mehr Klarheit und Verständnis gesorgt. Zudem gibt es in der Geschichte einige Perspektiv- und teilweise auch Zeitwechsel, die anfangs verwirren und den Lesefluss stören. Diese spiegeln allerdings auf der anderen Seite gut das Leben von Kelly wieder, auch wenn es zum Lesen teilweise gewöhnungsbedürftig war.

Was Sam Hawken jedoch sehr gut gelingt, ist eine atmosphärische Dichte zu erzeugen. So fühlt man regelrecht die heiße Sonne Mexicos, die Verzweiflung der Mütter, wenn sie wieder einen Zettel einer vermissten Tochter an den rosafarbenen Laternenmast anbringen müssen, kann ihre Weigerung nachvollziehen, immer von verschwundenen und nie von toten Frauen zu sprechen. Und auch die schwüle, energiegeladene, brutale Atmosphäre bei den Boxkämpfen ist gut nachvollziehbar. Allerdings hat mir etwas der Zugang zu den einzelnen Charakteren gefehlt und trotz ausführlicher Beschreibung ihres Aussehens und Charakters wurden manche für mich nicht recht greifbar.

Im zweiten Handlungsstrang verfolgt man die zumeist illegalen Ermittlungen von Rafael Sevilla, der im Drogendezernat arbeitet und schon länger mit Kelly bekannt ist. Sevilla hat ganz private Ambitionen, um hinter das Verschwinden der Frauen von Juárez zu kommen und geht für die Aufklärung sehr unkonventionelle Wege. Erst fast zum Schluss hin geht Sam Hawken wieder auf das Schicksal und dem dunklen Geheimnis der toten Frauen von Juárez ein. Das Hauptaugenmerk der beiden Erzählstränge liegt aber eindeutig bei dem von Gewalt geprägten Leben der Einwohner, dem brutalen Vorgehen der Drogenkartelle wie auch dem willkürlichen Machtgebaren der Polizei.

Irgendwie ist Hoffnungslosigkeit der Tenor des gesamten Romans und die sehr direkte, schonungslose Art wie Sam Hawken dies in seinem Roman vermittelt, lässt einen schon etwas hilflos zurück. Dies ist definitiv kein Buch, dass man nach Beendigung einfach zur Seite legt, sondern das Schicksal der toten Frauen von Juárez beschäftigt einen noch eine Zeitlang. Und genau dies ist auch das Ziel des Autors, der mit seinem Roman auf das Schicksal dieser Frauen aufmerksam machen möchte.

Fazit: Definitiv kein einfach zu lesendes Buch, dessen Geschichte auf einem wahren Hintergrund beruht, welches der Autor schonungslos und brutal offen beschreibt, sich jedoch oftmals auch in Details verliert.

Der Autor:
Sam Hawken, 1970 in Texas geboren, lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in der Nähe von Washington D.C. Er studierte an der Universität von Maryland und steuerte eine Karriere als Historiker an, bevor er sich dem Schreiben widmete. »Die toten Frauen von Juárez« ist sein erster Roman.


Erhältlich bei: Bilandia.de

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