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Samstag, 7. August 2010

{Rezension} Das Haus zur besonderen Verwendung von John Boyne


Verlag: Arche Verlag
Übersetzer: Fritz Schneider
Gebundene Ausgabe: 560 Seiten
Genre: Historischer Roman
ISBN: 3716026425
Erscheinungsdatum: 30. August 2010
Preis: 24,90 €




Die Geschichte einer großen Liebe

1981: Georgi Daniilowitsch Jatschmenew ist ein 81-jähriger Exilrusse, der zusammen mit seiner russischen Frau Soja in den 1920er Jahren nach England emigriert war. Die Revolution 1918 in Russland vertrieb sie aus ihrer Heimat und sie flohen erst einmal nach Paris bis sie dann in einem kleinen Londoner Vorort ein neues Zuhause fanden. Nun hat seine mittlerweile auch 79-jährige Frau Soja Krebs im Endstadium und während er sie im Krankenhaus besucht und sonst seine Tage meist alleine verbringt, schweifen seine Gedanken immer wieder in die Vergangenheit zurück.

Georgi wuchs in ärmlichen Verhältnissen in dem kleinen russischen Dorf Kaschin auf, durch das eines Tages der Vetter des Zaren mit seinen Soldaten reitet. Durch eine Reflexreaktion rettet Georgi an diesem Tag dem Vetter des Zaren das Leben, verliert aber gleichzeitig seinen besten Freund durch sein Verhalten. Als Dank für sein selbstloses Handeln wird Georgi zum persönlichen Leibwächter des Zarewitsch Alexei ernannt. Hierdurch ändert sich das Leben des Bauernjungen radikal. Er lebt fortan im Winterpalais von St. Petersburg, lernt die Zarenfamilie kennen und schätzen und führt ein sorgenfreies Leben. Mit dem jungen Alexei freundet er sich schnell an und er verliebt sich in Anastasia, die jüngste Tochter des Zaren. Seine Liebe bleibt nicht unerwidert.

Doch die schönen Jahre im Winterpalais von St. Petersburg sind viel zu schnell vorbei als die Stimmen der Revolution immer lauter werden und die Bolschewiki unter der Führung Lenins die Macht übernehmen. Der Zar muss abdanken und die Zarenfamilie wird nach Jekaterinenburg ins Haus zur besonderen Verwendung verschleppt. Dort werden sie wie Gefangene gehalten bis zum 17. Juli 1918, dem Tag der Ermordung der letzten Romanows.

Der in der Ich-Form geschriebene Roman beginnt zum Einen in der Gegenwart, in der Georgi seine Frau im Krankenhaus besucht, man sein Leben in London, seine Liebe zu Büchern wie auch seinen Enkel Michael kennenlernt. In einem weiteren Erzählstrang geht der Autor mit seiner Geschichte zurück in das Jahr 1916, als Georgi als Jugendlicher in dem kleinen Dorf Kaschin lebt und dort das Leben des Zarenvetters rettet. Diese beiden Erzählstränge arbeiten sich langsam aufeinander zu, sodass man nach und nach das ganze aufregende, erbarmungsreiche, traurige, aber auch glückliche und zufriedene Leben von Georgi und Soja kennenlernt. Und schon bald stellt man fest, dass John Boyne eine Legende neu aufleben lässt, er hier seine Version des Mythos erzählt und dies wirklich in einer grandiosen Art und Weise.

John Boyne ist ein wahrer Meister des Erzählens. Ihm gelingt es absolut mühelos, schon nach wenigen Seiten eine so dichte Atmosphäre aufzubauen, dass man regelrecht in die Geschichte von Georgi und Soja eintaucht. Seine Sprache ist lebendig, farbenfroh und so bildgewaltig, dass man regelrecht vor Augen hat, wie erstaunt und ehrfürchtig Georgi ist, als er das erste Mal das Winterpalais erblickt oder auch wie er kurz darauf dem Zar vorgestellt wird. Und obwohl John Boynes Schreibstil eher als ausschweifend zu bezeichnen ist, gelingt es ihm doch mühelos, die Spannung und auch den Unterhaltungswert immer sehr hoch zu halten, ohne auch nur einmal langatmig zu werden. Dies ist auch bedingt durch die sehr geschickt gelegten Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit sowie durch seinen sehr warmherzigen, gefühlvollen und flüssigen Schreibstil.

Man spürt regelrecht in jeder Zeile die Liebe von Georgi und Soja zu Russland wie auch zueinander und so nehmen diese beiden Figuren sehr schnell Konturen an und wachsen einem regelrecht ans Herz. Die Charaktere der restlichen Zarenfamilie sind ebenfalls sehr detailreich beschrieben, wobei die Darstellung der Zarin Alexandra hier nicht unbedingt sympathisch wirkt, dies jedoch zum Teil mit ihrer Erziehung begründet wird. Ich denke, hier hat sich der Autor seiner schriftstellerischen Freiheit bedient, da es so besser in die Geschichte passt. Die Figur von Vater Gregori oder besser bekannt als Rasputin ist genau so düster, unheimlich und hinterhältig beschrieben wie man es in anderen Erzählungen oft schon nachlesen konnte.

Auf die Hintergründe der Revolution wie auch auf die Ermordung der Zarenfamilie geht der Autor zwar ein, diese stehen aber nicht im Fokus, was ich auch nicht unbedingt vermisst habe, da dies zwar entscheidende Einschnitte in das Leben von Georgi und Soja waren, ihre Liebe zueinander und ihr Leben miteinander aber im Vordergrund der Geschichte stehen.

Fazit: So ist John Boyne ein üppiger, spannender und sehr unterhaltsamer Roman gelungen, der der Legende um die letzte Zarentochter eine neue Sichtweise gibt.
 

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