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Donnerstag, 6. Januar 2011

(Rezension) Sterbenskalt von Tana French

Übersetzer: Klaus Timmermann, Ulrike Wasel
Gebundene Ausgabe: 608 Seiten
ISBN: 3502102163
Genre: Englischer Krimi
Erscheinungsdatum: 14. Dezember 2010
Preis: 16,95 €



Die Vergangenheit kehrt zurück

Mehr als 20 Jahre hat der Undercover-Polizist Frank Mackey schon keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, außer gelegentlich zu seiner jüngeren Schwester Jackie. Und von dieser erhält er eines Tages einen ziemlich mysteriösen Anruf. In einem alten Abbruchhaus in Faithfull Place, jenem Viertel, in dem er aufgewachsen ist, wurde der Koffer seiner Jugendliebe Rosie gefunden. Frank und Rosie hatten damals beschlossen, zusammen nach England durchzubrennen, doch Rosie kam nicht zum verabredeten Treffpunkt, dort fand Frank nur einen Abschiedsbrief. In all den Jahren war er davon überzeugt, dass Rosie ihn in dieser Nacht verlassen hat und allein ihr Glück in England versuchen wollte. Doch wieso hatte sie dann nicht ihren Koffer mitgenommen? Mehr widerwillig kehrt Frank zur Stätte seiner Kindheit zurück, die für ihn nur wenig gute Erinnerungen enthält. Doch schon bald muss er feststellen, dass Rosies Verschwinden eine ganz andere Ursache hatte, als er 22 Jahre lang dachte.

Und wieder gelingt es Tana French quasi mit dem ersten Satz, einen an das Buch zu binden, ohne die geringste Chance, es vor dessen Beendigung aus der Hand legen zu können. Ihr Schreibstil ist wieder kraftvoll, bildhaft, stellenweise regelrecht poetisch und einfach nur absolut fesselnd. Die eigentliche Krimihandlung ist zwar ständig präsent, jedoch liegt der Focus eindeutig bei ihrem Protagonisten und seinem bisherigen Leben.

Frank kehrt nach einer halben Ewigkeit mit großer Überwindung in sein altes Viertel zurück. Sind die Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend doch nur geprägt gewesen von Gewalt und Perspektivlosigkeit. Einziger Lichtblick für ihn war damals seine Jugendliebe Rosie und ihre Liebe zu ihm. Begeistert stimmte er ihr zu, nach England abzuhauen, um dort für eine Rockband zu arbeiten. Endlich eine eigene Wohnung, endlich ein Privatleben, keinen gewalttätigen Vater mehr, keine keifende Mutter. Doch dieser Traum zerplatzte in einer einzigen Nacht, genau in der Nacht, als sie beschlossen hatten, ihr Viertel zu verlassen. Frank war die ganzen Jahre über der festen Überzeugung, dass Rosie ohne ihn gegangen sei, mittlerweile in England oder wo immer sonst auf der Welt ein glückliches Leben führt. Und dass sie vielleicht eines Tages ganz plötzlich vor ihm stehen würde. Doch diese Vorstellung zerplatzt so schnell wie eine Seifenblase, als der Koffer von Rosie gefunden wird. Als in dem Abbruchhaus auch noch eine Leiche entdeckt wird, beginnt Frank selbst Ermittlungen anzustellen und kommt dabei hinter ein fürchterliches Geheimnis.

Durch ständige Rückblicke erfährt man als Leser so nach und nach das triste, arme und von Gewalt geprägte Leben von Frank kennen. Ganz eindeutig hat ihn die Zeit in Faithfull Place fürs Leben geprägt. Frank meidet keine Schlägerei, geht bei seinen Nachforschungen stellenweise sehr rabiat und gewalttätig zu Werke, manipuliert Menschen nach Gutdünken und hasst seine Familie. Und doch merkt man mit der Zeit, dass seine Wurzeln immer noch in Faithfull Place verankert sind, er sich selbst als schlechten Menschen sieht, für seine kleine Tochter töten würde, noch einiges für seine geschiedene Frau empfindet und er immer noch nicht mit seiner Vergangenheit abgeschlossen hat. Frank hat viele Charaktereigenschaften, die einfach nur unsympathisch sind und dennoch gelingt es der Autorin problemlos, dass man mit ihm mitfühlt, er einem Leid tut, man Verständnis für sein Handeln aufbringt und ihm etwas Glück im Leben wünscht. Dies liegt möglicherweise auch daran, dass Tana French ihren Protagonisten selbst die Geschichte erzählen lässt und man so seine Beweggründe besser versteht.

Alle ihre Charaktere nehmen fast augenblicklich Konturen an, so liebevoll und detailreich sind sie gezeichnet und vor allem, so authentisch. Da ist der vom Leben enttäuschte Vater, der seinen Frust über Jahrzehnte hinweg im Alkohol ertränkt und ganz besonders im stark betrunkenen Zustand zu extremer Gewalt neigt. Da ist die ständig meckernde, fast schon herzlose Mutter, die kaum noch fähig ist, ihre Gefühle gegenüber ihren Kindern zu zeigen. Franks Geschwister Jackie, Carmel, Shay und Kevin: Alle so unterschiedlich im Charakter, doch alle fixiert auf die Eltern, die umsorgt sein müssen und denen immer noch wichtig ist, was andere Leute über sie denken, dass der Schein nach außen hin immer gewahrt werden muss. Hier ist nicht unbedingt Liebe zwischen den Familienangehörigen zu spüren, sondern vielmehr Verantwortung und Zusammengehörigkeitsgefühl, für den anderen einstehen und da zu sein. Frank hatte damals den Absprung auch ohne Rosie geschafft, seinen Geschwistern ist dieses Glück nicht vergönnt gewesen. So leben sie nach wie vor noch in Faithfull Place, dessen Leben sich so wenig seit damals verändert hat.

Anfangs wirkt die Story recht geradlinig, doch immer mehr tauchen kleine Ungereimtheiten auf, neue, unerwartete Ereignisse geschehen, sodass allein hierdurch schon die Spannung auf einem hohen Level ist. Aber der größte Spannungsfaktor entsteht durch den atmosphärisch so dichten Schreibstil von Tana French und der Geschichte rund um Rosie und Frank, auf der das eigentliche Hauptaugenmerk liegt. So zeichnet die Autorin wunderbar das Bild eines ärmlichen Viertels in Dublin und dessen Menschen Mitte der 1980er Jahre. Man hat Faithfull Place regelrecht vor Augen, kann sich die Tristesse, die Spießigkeit, Gewalttätigkeit und den Mangel an Privatsphäre hervorragend vorstellen. Und dies macht den eigentlichen Zauber dieses hervorragenden Buches aus, der Krimi ist eigentlich hierbei nur ein Nebenschauplatz.


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